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Alwy Allwissend
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Alwy Allwissend hört begeistert Rammstein
Wer das erste Mal in seinem Leben ein Rammstein-Konzert besucht, der ist verwundert. Verwundert darüber, wie bunt sich das Publikum zusammensetzt. Bänker sind genauso anzutreffen wie Pädagogen, junge wie alte Menschen. Was alle verbindet, ist wohl ein Gefühl. Das Gefühl in einem Land voller Widersprüche zu leben: in Deutschland.
Bereits das Konstrukt „Deutschland“ bietet der Band einen Widerspruch, den sie selber gerne in ihren Liedern aufgreift. Was ist Deutschland? Und wer gehört zu diesem Land?
In ihrem Song „Mein Land“ erzählt die Band von einer nicht näher beschriebenen Person, die nach einem langen Weg Einlass in ein Land erhalten möchte. Doch die Person, vermutlich ein Flüchtling, wird am Ende ihrer Reise von jemandem, der mit einer Fahne in der Hand angerannt kommt, aufgehalten.
Der Text lässt vermuten, dass es sich bei dem Fahnenträger um einen Nationalisten handelt, der keine Fremden im eigenen Land duldet (hier klicken, um im offiziellen Musikvideo an die entsprechende Stelle zu springen*). Rammstein versteht es hier frühzeitig, im Jahr 2011, eine Kontroverse vorwegzunehmen und in einem vermeintlich leichten Text zu verarbeiten. Wenige Jahre nach Veröffentlichung des Liedes zeigt sich, dass die Band einen gesellschaftlichen Nerv getroffen hatte. Die Flüchtlingskrise spaltet Deutschland: Nach einer Phase, welche unter dem Begriff „Willkommenskultur“ in die Geschichtsbücher eingehen wird, zeigt sich auch die hässliche Seite Deutschlands: Rassismus, Nationalismus, Islamophobie und in Extremfällen auch Gewalt gegen Asylbewerber.
Auch das Lied „Deutschland“, welches reflexartig nach seiner Veröffentlichung im Jahr 2019 von Journalisten skandalisiert wurde (die Rammsteiner dürfen sich schon seit Jahren über eine kostenlose „Skandal“-PR freuen und liefern dementsprechend routiniert Steilvorlagen für die Journaille ab), handelt von dem Verhältnis der Deutschen zu ihrem Land.
Dürfen die Deutschen ihr Land lieben, vielleicht sogar stolz auf es sein? Dass das geht, zeigte sich auf sehr emotionale Art beim Sommermärchen im Jahr 2006, bei dem die deutsche Nationalmannschaft mit ihrem 3. Platz zum „Weltmeister der Herzen“ wurde. Das Land ging förmlich in einem Meer aus schwarz-rot-goldenen Fahnen unter. Jeder konnte ein junges, weltoffenes Deutschland erleben, bei dem die Mehrheit einem Fußballrausch verfiel. Die Deutschen und ihre Gäste feierten – mal ganz frei von Gewissensbissen.
Doch zum Leichten gehört nach Rammstein-Manier immer auch das Schwere. So ist es die grauenhafte Vergangenheit Deutschlands, die immer wieder in den Liedern Rammsteins hochkommt. Ja, vielleicht hochkommen muss! Die Band zeichnet zu gerne ein düsteres Bild von Deutschland. So singt die Zweitstimme in „Mein Land“ denn auch nicht zufällig bestimmte Wörter wie „vertrieben“, „vertreiben“ und „vergessen“ (hier klicken, um im offiziellen Musikvideo an die entsprechende Stelle zu springen*). Die Begriffe wecken schnell eine Assoziation von Verfolgung und Unterdrückung durch das NS-Regime.
Noch deutlicher wird die Zweitstimme in dem Lied an einer anderen Stelle (hier klicken, um im offiziellen Musikvideo an die entsprechende Stelle zu springen*). Die Wörter „übermächtig“ und „Übermenschen“ sowie die Zeile „Deutschland, Deutschland über allen“ sind eindeutig eine Kritik an der Ideologie des NS-Unrechtsregimes. In diesem wurde die erste Strophe des „Liedes der Deutschen“ mit den Zeilen „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt!“ meistens in Verbindung mit dem heute verbotenen Horst-Wessel-Lied als Nationalhymne gesungen.
Im Jahr 2005 veröffentlichte Rammstein mit „Amerika“ ein Lied, in dem die Band den Stimmungswechsel der Deutschen gegenüber der US-amerikanischen Außenpolitik thematisierte. Waren die Deutschen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 noch voller Solidarität und Mitgefühl gegenüber den USA, so wandelte sich diese Beziehung spätestens mit den Kriegseinsätzen in Afghanistan (lesen Sie auch den Beitrag „Afghanistan – Friedhof der Weltmächte?“) und später dem Irak.
In dem Lied kritisiert die Band das Auftreten der Amerikaner als Weltpolizei. Alle Länder, also auch Deutschland, haben nach der Pfeife des Weißen Hauses zu tanzen. Doch die dadurch zu gewinnende Freiheit ist am Ende keine wirkliche Freiheit und so bekommen amerikanische Symbole wie Micky Mouse (hier klicken, um im offiziellen Musikvideo an die entsprechende Stelle zu springen*), Coca-Cola und der Wonderbra im Lied etwas Einschüchterndes.
Auch in diesem Fall schafft es die Band eine gesellschaftliche Frage zu verarbeiten: Ist es in Ordnung die amerikanische Freundschaft zu gefährden, um sich nicht an einem weiteren Kriegseinsatz neben Afghanistan zu beteiligen? Im Nachhinein war es wohl die beste Tat des Altbundeskanzlers Gerhard Schröder dem damaligen Präsidenten George W. Bush die Gefolgschaft für den Irak-Krieg zu verweigern, wenngleich es die deutsch-amerikanisch Beziehung nachhaltig schädigte.
Wer in Rammstein nur das Provokative sieht, betrachtet ihre Musik nur oberflächlich. Die wollen doch nur spielen und das ist auch gut so. Sie gehören wie der „Tatort“ am Sonntag um 20.15 Uhr einfach zu Deutschland. Die Rammsteiner bieten den Deutschen ein musikalisches, nicht immer politsch korrektes Ventil für ihre Gefühle: Besonders beim Singen in der Masse, welches sich spannenderweise auch auf Rammstein-Konzerten im Ausland beobachten lässt, kann der über lange Zeit aufgestaute Druck kollektiv abgelassen werden.
Das ist gut, denn am Ende gehen alle wieder ihre Wege – als Bänker oder Pädagoge. Und auch die Rammsteiner ziehen nach einem Konzert ihre merkwürdig anmutende Lederklamotten aus und schauen aus wie ganz artige Bürger.
* Das Urheberrecht setzt außerhalb der Wissenschaft enge Grenzen zur Zitation von urheberrechtlich geschützten Werken. Um dieses Recht zu achten, hat sich Alwy Allwissend dazu entschieden auf die hier in Rede stehenden Werke fast ausschließlich indirekt einzugehen und an ausgewählten Stellen auf die von der Band offiziell bereitgestellten Musikvideos via Hyperlink zu verweisen.
#Deutschland #Musik #Rammstein
24. April 2019
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